Corona-Krise als Instrument der Gleichstellung?
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Dieser Artikel ist am Blog A&W erschienen
Mitte März wurde von der Bundesregierung der Lockdown verhängt, um die Ausbreitung des COVID-19-Virus einzudämmen. Diese Ausgangsbeschränkungen haben unseren Lebens- und Arbeitsalltag drastisch verändert. Eine aktuelle Studie zeigt, wie sich diese Veränderungen auf die Zeitverwendung der Menschen in Österreich ausgewirkt haben. Im Zentrum steht die Frage, ob sich der Alltag von Frauen und Männer in Richtung Gleichstellung verändert hat – oder eben nicht.
Home-Schooling, Home-Cooking und Home-Office
Im Rahmen einer vom Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds und der Frauenabteilung der Arbeiterkammer Wien finanzierten Studie haben wir eine Online-Befragung zu geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Corona-Krise durchgeführt. Weil der Alltag von Männern und Frauen sehr verschieden ist, kann auch davon ausgegangen werden, dass die Krise Frauen und Männer unterschiedlich trifft und betrifft. Die ersten Ergebnisse liegen nun vor.
Bereits vor dem Lockdown wurde unbezahlte Arbeit im Haushalt – Kochen, Putzen, Kinderbetreuung und Pflege – überwiegend von Frauen erbracht. Der Lockdown hat die in Summe zu erbringende unbezahlte Arbeit in den Haushalten zusätzlich erhöht. Denn viele Tätigkeiten und Dienstleistungen haben sich ins Private verlagert: aufgrund der Schließung der Kindergärten, durch Home-Schooling und durch die Nicht-Verfügbarkeit von – weil zu schützenden – Großeltern, Bekannten oder auch BabysitterInnen beziehungsweise durch Home-Cooking statt Jausenweckerl und Betriebskantine.
Zuvor institutionell zur Verfügung gestellte Leistungen – etwa Kindergärten oder Schule – oder, vorausgesetzt das Einkommen reichte aus, zugekaufte Leistungen – etwa Reinigungskräfte, BabysitterInnen oder 24-Stunden-Betreuung – brachen plötzlich weg. Zudem haben die Menschen während des Lockdowns ihre Zeit in erster Linie zu Hause verbracht, etwa aufgrund von Home-Office, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit. Die Frage nach der Aufteilung des Arbeitsalltags, der Hausarbeit und der Kinderbetreuung hat sich daher für viele Menschen neu gestellt.
Die Corona-Krise als Wunderwuzzi für Gleichstellung?
Als immer mehr Länder einen Lockdown verordneten, begannen ÖkonomInnen zu argumentieren, die Corona-Krise habe das Potenzial, Ungleichheiten zwischen Frauen und Männer zu reduzieren, etwa weil Menschen – Frauen als auch Männer – eben viel mehr Zeit zu Hause verbringen. Männer würden endlich sehen, wie viel unbezahlte Arbeit Frauen eigentlich leisten. In weiterer Folge würden sie daher in Zukunft eher bereit sein, einen größeren Anteil der unbezahlten Arbeit zu übernehmen. Und durch das Home-Office würden besonders Frauen entlastet, da Home-Office die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern würde. Mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern sei daher eine zu erwartende Folge der Pandemie.
Wir fanden diese Argumente interessant, vor allem vor dem Hintergrund bestehender Evidenz zur Wirkung von Home-Office auf die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Beruf. Studien aus Deutschland haben etwa gezeigt, dass Home-Office nicht (automatisch) Geschlechterrollen und die Verteilung von unbezahlter Care-Arbeit verändert, weder Müttern noch Vätern einen Freizeitgewinn bringt und die von Müttern geleistete Care-Arbeit sogar erhöht. Aber vielleicht ist diesmal alles anders? Mit unserer eigenen Umfrage wollten wir herausfinden, wie sich die derzeitige Krise auf unbezahlte Arbeit, Home-Office und deren Vereinbarkeit auswirkt, und den postulierten Hypothesen von mehr Gleichstellung auf den Grund gehen.
Ich bin wohl Super-Woman!
2.113 in Österreich lebende Menschen haben unseren Online-Fragebogen über ihren Alltag während Corona beantwortet. Themen der Befragung waren die Zeitverwendung, die Zufriedenheit mit der Arbeitsteilung im Haushalt, die Arbeitszufriedenheit im Home-Office und die psychische Gesundheit. Ähnlich der letzten Zeitverwendungserhebung der Statistik Austria aus den Jahren 2008/09 baten wir Menschen, ihre Zeitverwendung des vorherigen Tages bzw. des letzten Werktages in Intervallen von Viertelstunden anzugeben.
Für viele der Befragten ergaben sich während des Lockdowns große Schwierigkeiten, alle Anforderungen zu bewältigen, denn Nebentätigkeiten, also Multitasking, haben sich enorm verschärft. So wurden etwa Kinder während des Home-Office betreut oder neben dem Home-Schooling gekocht. Eine häufige und wichtige Rückmeldung der Befragten war folglich, dass Tage gefühlt keine 24 Stunden hatten, sondern eher 36 bis 42, wie auch aus folgenden Kommentaren hervorgeht: „Mein Tag hatte ursprünglich 36 Stunden – ich bin wohl Super-Woman“ oder „Eigentlich mache ich fast alles und passe daneben auf die Kinder auf“.
Werden die bezahlte Erwerbsarbeit und die unbezahlte Arbeit zusammengezählt, haben Frauen und Männer während des Lockdowns zwischen 11 und 15 Stunden pro Tag gearbeitet. AlleinerzieherInnen kommen mit knapp 15 Stunden auf die meisten Stunden pro Tag, sie verrichteten im Durchschnitt 9 Stunden unbezahlte Kinderbetreuung und Hausarbeit pro Tag, zusätzlich zu durchschnittlich 6 Stunden Erwerbsarbeit. Für Paarhaushalte mit Kindern sind die Zahlen sehr ähnlich: Mütter, die in Paarhaushalten leben, arbeiten im Schnitt 14 ¼ Stunden pro Tag, 9 ½ davon unbezahlt; in Paarhaushalten lebende Väter 13 ¾ Stunden, davon knapp 7 unbezahlt. Damit haben diese Frauen durchschnittlich pro Werktag unbezahlt zweieinhalb Stunden mehr als Männer gearbeitet. Auf eine Arbeitswoche mit fünf Tagen hochgerechnet, sind das fast 12,5 Stunden – also 1,5 Vollzeit-Arbeitstage zusätzlich.
Dieses Verhältnis zwischen Frauen und Männern zeigt sich auch dann, wenn beide Elternteile im Home-Office waren. Aus den Antworten aus dem Fragebogen geht hervor, dass Home-Office neben Kinderbetreuung kaum möglich war: „Ich kann gar nicht sagen, wie unmöglich es ist, Kinderbetreuung und Home-Office zu vereinbaren.“
Die folgende Abbildung stellt den geschlechtsspezifischen Unterschied des Zeitaufwandes für bezahlte und unbezahlte Arbeit dar für verschiedene Haushaltstypen: Ein Balken über null bedeutet, dass Frauen an einem typischen Werktag im Schnitt mehr Stunden für eine Tätigkeit aufwendeten als Männer, ein Balken unter null bedeutet, dass Männer mehr Stunden für eine Tätigkeit verwendeten als Frauen. Es zeigt sich ein bereits bekanntes Bild: Frauen arbeiten mehr unbezahlte Stunden, Männer verrichten mehr bezahlte Arbeit als Frauen. Werden alle Arbeitsstunden zusammengezählt, arbeiten Frauen pro Tag mehr Stunden als Männer. Am deutlichsten ist dieser Unterschied bei Paarhaushalten mit Kindern unter 15 Jahren. Dieser geschlechtsspezifische Unterschied ist auch bei Paarhaushalten mit Kindern unter 15 Jahren, in denen beide Elternteile im Home-Office arbeiteten, ähnlich ausgeprägt.
Dabei wird deutlich: Damit Home-Office tatsächlich eine bessere Vereinbarkeit bringen kann, sind qualitätsvolle Kinderbetreuungseinrichtungen mit Öffnungszeiten, die zu den Arbeitszeiten erwerbstätiger Eltern passen, unbedingt notwendig. Außerdem ist zu beachten, dass der Fragebogen von sehr vielen gut ausgebildeten AkademikerInnen ausgefüllt wurde, wo die unbezahlte Arbeit vergleichsweise gleicher aufgeteilt ist. Die Ergebnisse sind also nicht repräsentativ für die österreichische Gesamtbevölkerung. Bei der Interpretation der Zahlen muss auch bedacht werden, dass die Daten während einer sehr spezifischen Situation – während der anfänglichen, strikten Ausgangsbeschränkungen – erhoben wurden.
Frauen erwarten nicht mehr Gleichstellung durch die Corona-Krise
Bei etwa der Hälfte der Paarhaushalte haben Frauen vor der Krise den Großteil der Hausarbeit erledigt, bei der Kinderbetreuung waren es rund zwei Drittel der Frauen, die die Care-Arbeiten mehrheitlich stemmen. Wir haben auch gefragt, welche Erwartungen Menschen bezüglich der Verteilung unbezahlter Arbeit nach der Corona-Krise haben. Denken Frauen, dass sich die Situation für sie verbessern wird? Auch während des Lockdowns verrichteten Frauen den größeren Teil der unbezahlten Arbeit. Und sie gehen davon aus, dass sich nach der Krise die Verteilung von Hausarbeit und Kinderbetreuung nur geringfügig zu ihren Gunsten verbessern wird.
Fazit: ernüchternde Bilanz für die Gleichstellung
Zusammenfassend gibt es eine ernüchternde, aber vielleicht wenig überraschende Nachricht: Genauso wie vergangene Krisen hat auch die Corona-Krise nicht das Potenzial zum Gleichstellungsinstrument und das Home-Office während des Lockdowns die Vereinbarkeit von Beruf, Kinderbetreuung und Freizeit nicht erleichtert. Nicht nur in systemerhaltenden Berufen, sei es im Einzelhandel oder im Krankenhaus, tragen Frauen einen großen Teil der Krisenlast, sondern auch zu Hause.
Die Ergebnisse der Studie deuten zudem darauf hin, dass sich die Aufteilung der unbezahlten Arbeit nicht sonderlich verändert hat und Frauen auch in Zukunft den Großteil der unbezahlten Arbeit erbringen werden. Im Umkehrschluss kann dies jedoch als Motivation genutzt werden: Einmal mehr wird sichtbar, dass Gleichstellung noch Zukunftsmusik ist. Warten wir nicht bis zur nächsten Krise, um wieder über Geschlechtergerechtigkeit zu sprechen. Beginnen wir jetzt eine Diskussion von Maßnahmen, die der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männer dienen können. Detailliertere Ergebnisse unserer Studie, die wir nach und nach auf unserem Blog zu den geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Corona veröffentlichen werden, können dazu weitere Einsichten bringen.
Dieser Blog-Artikel habe ich gemeinsam mit Judith Derndorfer, Vanessa Lechinger, Katharina Mader und Eva Six verfasst.